Über die Bedeutung von Raumgestaltung für Nervensystem, Beziehung und Gesundheit in Schule und Lernen
Impulse für regulierende Lernräume
Gesundheit als gemeinsame Grundlage
Gesunde Lernräume entstehen dort, wo sich Menschen sicher, gesehen und willkommen fühlen – nicht nur Lernende, sondern auch Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte.
Raumgestaltung ist weit mehr als Architektur: Sie wirkt auf das Nervensystem, die emotionale Regulation und die Qualität von Beziehung.
Ein Klassenzimmer ist immer auch ein Spiegel der Haltung, mit der Bildung geschieht – und beeinflusst, ob ein Kind sich regulieren, konzentrieren oder überhaupt präsent sein kann.
Wenn wir an den Bedürfnissen neurodivergenter Menschen orientieren, gestalten wir kein „Extra“ – wir schaffen Bedingungen, die allen guttun.
Neurodivergente Menschen sind die Seismographen des Systems: Sie spüren früh, wo etwas im Ungleichgewicht ist.
Ihre Bedürfnisse zeigen, was eine gesunde Lernumgebung wirklich ausmacht – für alle.
1. Decke, Wände und Boden
Eine klare, ruhige Gestaltung der Raumhülle unterstützt das Nervensystem unmittelbar.
Wände sollten überwiegend hell, aber nicht grell sein – natürliche, matte Töne wirken regulierend und vermeiden Überreizung.
Wenige Bilder oder Objekte an der Wand helfen, visuelle Reize zu reduzieren.
Schränke und Regale sollten geschlossene Fronten haben, damit Ordnung und Ruhe auch optisch spürbar bleiben.
Der Boden darf warm und schallabsorbierend sein, um Klang und Temperatur auszugleichen.
2. Blick nach draußen
Große Fenster und eine freie Sichtverbindung nach außen geben Orientierung und Entlastung.
Der Blick ins Grüne, in den Himmel oder auf Bewegung außerhalb des Raumes unterstützt die Regulation des Nervensystems.
Vorhänge oder Rollos ermöglichen, den Reizgrad anzupassen: offen für Weite und Erholung, geschlossen für Fokus und Schutz.
Tageslicht ist essenziell – es wirkt auf Stimmung, Konzentration und Schlafrhythmus.
3. Licht
Natürliches Licht hat Vorrang.
Künstliche Beleuchtung sollte blendfrei, flimmerfrei und in der Farbtemperatur an Tageslicht angepasst sein.
Mehrere Lichtquellen mit dimmbarer Intensität erlauben, je nach Situation zwischen Aktivierung und Beruhigung zu wechseln.
Indirektes Licht oder Zonenbeleuchtung (z. B. Leseecken, Arbeitsbereiche) schaffen zusätzlich Orientierung und Sicherheit.
4. Anordnung und Möbel
Einzeltische schaffen Flexibilität: Der Abstand zu anderen kann individuell gewählt werden – Nähe oder Distanz nach eigenem Empfinden.
So werden Selbstbestimmung und Sicherheit im Raum unterstützt.
Die Möblierung sollte verschiedene Körperhaltungen ermöglichen: Sitzen, Stehen, Knien, Liegen.
Kinder brauchen Bewegungsfreiheit, um ihre Energie regulieren und Aufmerksamkeit aufbauen zu können.
Möbel sollten leicht verschiebbar, stabil und haptisch angenehm sein.
5. Akustik
Geräusche sind einer der größten Stressfaktoren im Klassenzimmer.
Akustisch regulierte Räume mit schallabsorbierenden Materialien (z. B. Teppiche, Akustikdecken, Filz, Vorhänge) reduzieren Daueranspannung.
Ruhige, gedämpfte Räume helfen, die Stimme zu schonen und erhöhen das Gefühl von Sicherheit.
Eine gute Akustik ist zugleich ein Zeichen von Wertschätzung – sie zeigt, dass Wahrnehmung und Konzentration ernst genommen werden.
6. Rückzugsräume
Rückzugsräume dienen der Regulation – intern wie extern.
Innerhalb des Klassenzimmers kann das eine kleine, abgetrennte Zone mit Sitzsack, Teppich oder Vorhang sein, in der Kinder kurz abschalten dürfen.
Darüber hinaus braucht die Schule externe Räume:
– einen Ruheraum, in dem Stille und Entlastung möglich sind,
– und einen Bewegungsraum, in dem angestaute Energie entladen werden kann.
So wird das Bedürfnis nach Rückzug und Ausdruck gleichermaßen ernst genommen.
7. Temperatur, Luft und Gerüche
Das Nervensystem reagiert sensibel auf Klima.
Frische, bewegte Luft unterstützt Präsenz; stickige, überheizte Räume fördern Erschöpfung.
Angenehme Temperatur, neutrale Gerüche und regelmäßiges Lüften halten das System wach und regulierbar.
Pflanzen können das Raumklima verbessern, sollten aber sparsam eingesetzt werden, um keine Reizüberflutung zu erzeugen.
8. Atmosphäre und Beziehung
Ein Raum drückt aus, ob Lernende und Lehrkräfte willkommen und gewertschätzt sind.
Er zeigt, ob Wohlbefinden, Sicherheit und Gehaltensein mitgedacht werden – als Grundlage von Bildung, nicht als Zusatz.
Räume, die Beziehung und Fürsorge ausdrücken, schaffen Vertrauen und fördern Gesundheit.
Wenn Schule Räume gestaltet, die atmen dürfen, entsteht ein Umfeld, das Lernen, Heilung und Entwicklung gleichermaßen trägt.
Quellen und Studien
Die folgenden Studien und Fachartikel vertiefen zentrale Aspekte traumasensibler und neurodivergenzfreundlicher Lernumgebungen.
Die ursprüngliche Idee für diesen Leitfaden entstand aus dem Impuls, Lernräume so zu gestalten, dass sie das Nervensystem von neurodivergenten und traumatisierten Menschen unterstützen.
Im Verlauf der Arbeit zeigte sich, dass zahlreiche wissenschaftliche Publikationen diese Perspektive bestätigen und die Bedeutung von Raumgestaltung für Regulation, Beziehung und Gesundheit untermauern.
Und auch in bestehenden Schulräumen können Veränderungen gemacht werden die in eine positve Richtung geht. Jeder Schritt, jede kleine Veränderung zählt und ist für alle ein Gewinn.
Relevante Studien zur traumasensiblen und neurodivergenzfreundlichen Raumgestaltung
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Autor:in / Jahr |
Thema / Titel |
Kernaussagen zu Lernumgebung und Raumgestaltung |
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Patilima H. et al., 2025 |
Neurodiversity and Trauma in Early Childhood: Implications for Inclusive Learning |
Neurodivergente Kinder sind überdurchschnittlich traumatisiert. Sensorisch freundliche, strukturierte Lernräume fördern Regulation und Sicherheit. |
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Sage Journal, 2025 |
Neurodivergent Pupils’ Experiences of School Distress and Attendance Difficulties |
Neurodivergente Schüler:innen profitieren von reizarmen, flexiblen Räumen, die Rückzug und Selbstbestimmung ermöglichen. |
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Gibbs V. et al., 2025 |
Whole-School Trauma-Informed Professional Development in Autism-Specific Settings |
Trauma-Awareness bei Lehrkräften verbessert Haltung, Beziehung und Raumqualität – Grundlage für gesundes Lernen. |
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Norrish J., 2023 |
How is Trauma-Informed Education Implemented within Schools? A Systematic Review |
Sicherheit, Struktur und sensorische Achtsamkeit fördern Konzentration und emotionale Regulation. |
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ASHA (2025) |
Neurodivergent Voices in the Classroom |
Neurodivergente Lernende wünschen Umgebungen, die Selbstbestimmung und Regulation ermöglichen. |
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Frey, Fisher & Smith, 2020 |
Trauma-Informed Design in the Classroom |
Physisches Umfeld wirkt als „dritter Lehrer“ – es beeinflusst Sicherheit, Beziehung und Lernbereitschaft. |
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Rajotte, 2025 |
A Neuroinclusive School Model: Focus on the School, Not the Student |
Systemische Anpassung von Umgebung und Kultur verbessert Zugehörigkeit und Gesundheit für alle Beteiligten. |
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Inclusive Instructional Design for Neurodiverse Learners, 2024 |
Instructional & Spatial Design für neurodiverse Schüler:innen |
Flexible Sitzpositionen, Körperhaltungen und Raumwahl fördern Konzentration und Regulation. |
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EEG-based Investigation of Classroom Design, 2021 |
Auswirkungen von Raumdesign auf kognitive Leistung (EEG-Studie) |
Licht, Fenster und Raumgröße beeinflussen messbar die kognitive Leistung und Aufmerksamkeit. |
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Koslouski, 2023 |
Understanding and Responding to the Effects of Trauma in the Classroom |
Reizarme, sichere Räume unterstützen Aufmerksamkeit, emotionale Stabilität und Lernfähigkeit. |
Gedanken mit KI strukturiert, Studien mit KI gesucht und gefunden, Bild mit KI erstellt